Die Erde öffnen.
Spirituelle Landkarten als Besitzurkunde:
Die Kunst der
australischen Spinifex People im Münchner Völkerkundemuseum
Von Sabine Matthes
junge Welt, 06.05.2013 / Feuilleton /
Seite 12, www.jungewelt.de/2013/05-06/029.php
Als Kapitän James Cook 1770 in der
Botany Bay in Australien landete, erklärte er das Land zur leeren, unbewohnten
Terra Nullius. Die Briten begründeten damit ihre Landnahme und unterwarfen die
Bewohner einer kolonialistischen Routine nach dem Motto "Zivilisieren,
Christianisieren, Ausrotten, um Vergebung bitten". Erst 1967 wurden die
Aborigines Staatsbürger und eine starke Landrechtsbewegung begann. Der Fall
"Mabo vs. Queensland" wurde 1992 zum bahnbrechenden Präzedenzfall:
das Oberste Bundesgericht sprach Eddie Mabo und anderen indigenen Klägern das
Besitzrecht an den von ihnen bewohnten Murray Islands zu. Dies war eine
historische Wende, denn das britische Terra-Nullius-Prinzip wurde als fiktiv
und illegal verworfen. Das Mabo-Urteil half anderen Aborigines-Gemeinden die
Rückgabe ihres Landes (Native Title) zu fordern - sofern sie eine
kontinuierliche traditionelle Verbindung dazu nachweisen konnten.
So wurde die Landrechtsbewegung zu einem
enormen Stimulans für die zeitgenössische Aboriginal Art. Denn der Erfolg der
Landansprüche hing auch von der bildlichen Darstellung dieser Beweisführung ab.
Die Kunstwerke, verstanden als eine Art Schöpfungsgeschichte, erzählen von der
Landschaft und ihren Bewohnern; davon, wie ihre Sitten, Gebräuche und Gesetze
entstanden. Es sind spirituelle Landkarten, die zu Besitzurkunden werden.
"Wenn ich diese Geschichte nicht male, kommt irgendein Weißer und stiehlt
mir mein Land" - lautet häufig die Motivation zu malen.
Mit der überlieferten Bildsprache von
Zeichen und Symbolen aus einer 50 000 Jahre alten Kulturtradition der
Aborigines kommuniziert der initiierte Künstler seinen Geburtsort, dessen
spezielle Verbindung zur Schöpfungsgeschichte und seine persönliche
Verantwortung dafür. In den Bildern der Spinifex People, die gegenwärtig im
Münchner Völkerkundemuseum zu sehen sind, sind die überlebenswichtigen
Wasserlöcher vorherrschend. Die Kreise sind oft wichtige Versammlungsorte, um
die sich gepunktete Linien und Wege ranken - Geschichten in Form von Emuspuren,
menschlichen Sitzabdrücken, magischen Wasserschlangen oder dem Reiseweg des
Pythonmannes Wati Tiru.
Die Spinifex People leben als Nomaden im
südwestlichen Australien in der Abgeschiedenheit der Great Victoria Desert.
Dort gibt es 500 heilige Stätten, zu denen Exkursionen unternommen werden. Man
fegt den Sand beiseite und beginnt zu malen - oft gemeinschaftlich auf einer
auf der Erde liegenden Leinwand, Frauen und Männer allerdings getrennt. Einem
Ritual gleich, wird durch das Malen die Erdoberfläche sozusagen geöffnet und
die Kraft der Ahnen angezapft. Die Aborigines glauben, daß diese die Welt erst
erträumt und dann geschaffen haben. Als sie damit fertig waren, gingen die
Ahnen ermüdet in die Erde, den Himmel, die Wolken und die Geschöpfe zurück, um
als Kraft in allem, was sie geschaffen hatten, nachzuhallen. Das Malen soll
diesen Schöpfungsakt regenerieren.
Einerseits müssen die Bilder diskret
geheimes Wissen verbergen, andererseits sollen sie vor Gericht präzise
Beweisstücke sein. Die Spinifex People mußten ihr Land in den 1950er Jahren
wegen schwerer Dürren und den britischen Atombombentests in Maralinga
verlassen. Viele wurden in sogenannte Missionen umgesiedelt, Hunderte Kilometer
von ihrem Land entfernt. Während sie mit der australischen Regierung 1995 bis
2000 über ihre Landrechte verhandelten, wobei ihnen schließlich 55000
Quadratkilometer zuerkannt wurden, begann 1997 das Spinifex Arts Project. Die
Stammesältesten malten zwei Gemälde, je ein Gemeinschaftswerk der Männer und
der Frauen, die ihre Identifikation mit dem ganzen beanspruchten Land
darstellten. Diese Bilder wurden offiziell in die Präambel der
Native-Title-Vereinbarung aufgenommen. Erst dieser politische Erfolg ermunterte
die Spinifex, auch für den Kunstmarkt weiter zu malen.
Ihre Bilder entfalten den Sog einer sich
endlos abspulenden minimalistischen Wüstenoper. Ihre Farben und Muster
vibrieren wie die flirrende Hitze, das Licht und der Sand. Die Spinifex Kunst
ist roher und ursprünglicher als die bereits Ende der 1980er Jahre
international gefeierte Central Desert Art. Dort, in der unerbittlichen Wüste
Zentralaustraliens, fand 1971 die Initialzündung der zeitgenössischen
Aboriginal Art statt. Der Lehrer Geoffrey Bardon arbeitete damals in einer
Schule nahe der Regierungssiedlung Papunya, wo Aborigines lebten, die man von
ihrem traditionellen Land vertrieben hatte. Er gab ihnen Farbe und ermunterte
sie, ihre Geschichten zu malen. So entstand das Honigameisen-Dreaming als
Wandbild auf einer Schulmauer - das erste Bild, das nicht mehr auf eine
natürliche Oberfläche wie Haut, Holz, Felsen oder Erde gemalt war, sondern auf
einen permanenten, vertikalen Untergrund nach westlichem Kunstverständnis.
Acrylbilder auf Leinwand folgten. Die rasch wachsende Popularität der daraus
sich entwickelnden Papunya-Tula-Kunst-Bewegung fiel mit der indigenen
Landrechtsbewegung zusammen. Das Spinifex Arts Project folgte dem erfolgreichen
Papunya-Modell. Aber die Spinifex-People gehörten zu den letzten Gemeinden, die
ihre Geheimnisse, im Tausch gegen Landrechte, preisgeben wollten.
Spinifex Arts Project, Aboriginal Art
aus der Great Victoria Desert, bis 12. Mai, Staatliches Museum für Völkerkunde
München