Schwul, stolz und glücklich. Der Spielfilm "Tom of Finland" ist eine Hommage an die Ikone der homosexuellen Popkultur - und ein finnischer Mainstreamerfolg, junge Welt, 06.10.2017

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Tageszeitung junge Welt

Aus: Ausgabe vom 06.10.2017, Seite 10 / Feuilleton

Schwul, stolz und glücklich

Der Spielfilm »Tom of Finland« ist eine Hommage an die Ikone der homosexuellen Popkultur – und ein finnischer Mainstreamerfolg

Von Sabine Matthes
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Früher waren es »schmutzige Zeichnungen«, heute sind es Briefmarken in Finnland
»Tom of Finland«, Regie: Dome Karukoski, Finnland 2017, bereits ­angelaufen
Im Zweiten Weltkrieg hieß Tom of Finland (1920–1991) noch Touko Laaksonen. Er kämpfte im Winterkrieg zwischen Finnland und der Sowjetunion 1939/40. Damals waren Leder und Stiefel schon sein Fetisch, nun kamen noch die Uniformen dazu. Ihm waren die Naziideologie und der Rassismus verhasst – dennoch habe er deutsche Soldaten zeichnen müssen, bekannte er einmal, denn »sie hatten die geilsten Uniformen«.
Diese ästhetische Vorliebe aber war nicht der Tabubruch, sondern dass er es überhaupt wagte, hypersexualisierte Männer zu zeichnen. Soldaten, Matrosen, Polizisten, Biker, Cowboys, Holzfäller und Gefängniswärter – als vor Selbstbewusstsein strotzende Kerle in Leder und Uniform, mit schwarz glänzenden Stiefeln, keckem Grinsen, prallen Muskeln und gierigen Schwänzen.
Im Gegensatz zu anderen skandinavischen Ländern, die in sexuellen Fragen toleranter wurden, herrschte im Nachkriegs-Finnland der Puritanismus der protestantischen Kirche. Tuntiges Verhalten aber konnte nicht bestraft werden. So trafen sich Schwule heimlich in Bars als flamboyante Effeminierte, was Tom nicht anmachte. Er flüchtete sich in die Phantasie, zu extrem männlichen Typen als Spielgefährten, ähnlich wie der Outsider Künstler Henry Darger (1892–1973) mit seinen Vivian Girls und bewaffneten Kindern.
Der Spielfilm »Tom of Finland« ist das siebte und bislang aufwendigste Werk des heterosexuellen Regisseurs Dome Karukoski. Außenseitererfahrung hat auch er als ein auf Zypern geborener Sohn einer finnisch-schwedischen Mutter und eines US-amerikanischen Vaters, der in seiner finnischen Schulzeit als »Ausländer« gemobbt wurde. Damals begegneten ihm zum ersten Mal Toms Bilder, und er fragte sich vor allem, ob ein Penis wirklich so riesig werden könnte? Karukoski ist Jahrgang 1976. Schon seit längerem haben sich die konservativen Finnen damit abgefunden, dass Tom of Finland einer ihrer berühmtesten Exportschlager ist. 2014 brachte die finnische Post Tom-of-Finland-Briefmarken heraus. Karukoskis Film mit Pekka Strang in der Hauptrolle wurde ein Mainstreamhit in den großen Kinos. 65 Prozent der Zuschauer seien weiblich, sagt er, 15jährige Mädchen trügen Tom-of-Finland-T-Shirts.
Für den Film wurden insgesamt 39 verschiedene Varianten ausprobiert, um die feine Textur der Zeichnungen darzustellen, sie wurden unter anderem auch animiert. Die »Tom of Finland Foundation« in Los Angeles wurde für die Nutzung der Rechte bezahlt, doch es gab Streitigkeiten, was die historische Wahrheit sei und was nicht. Verrückte Szenen im Film, wie die der Cops auf der schwulen Gartenparty in L. A. seien aber real, betont Karukoski. Ebenso die Vorliebe von Toms Schwester Kaija (Jessica Grabowsky) für die Toreros des Stierkampfes. Um sie zu sehen, reist sie eigens nach Spanien, Toms Kunst aber erkennt sie nie an. Seine Liebesgeschichte zum Tänzer Veli Mäkinen (Lauri Tilkanen) hält er geheim. Er lernt ihn 1953 kennen und ist mit ihm bis zu dessen Tod 1981 zusammen.
Toms »schmutzige Zeichnungen« wie er sie nennt, gelten anfänglich der Befriedigung der eigenen Lust. Er verkauft und verschenkt sie auf seinen Reisen nach Hamburg, Berlin und London und schafft sich so ein Netzwerk internationaler Freunde, Fans und Förderer. Seine Bilder sollten die Scham bekämpfen und einen neuen Typ viriler Männer zeigen, die schwul, stolz und glücklich sind und freien Sex genießen. Ob man sie nun als Pornografie, Outsider Kunst, Camp oder Pop bezeichnen möchte – sie wurden zu einem wichtigen Teil der Schwulenbewegung. Ihr Hedonismus inspiriert die Club- und Fetischszene und Künstler wie Freddie Mercury, Robert Mapplethorpe, Jean Paul Gaultier oder Mike Kelley.
Im Film gibt es einen starken Kontrast zwischen Toms frühen Jahre in Europa und seinen Erlebnissen in den USA. Finnland erscheint in düsteren Farben, ein hoffnungslos deprimierender, finsterer, melancholischer Ort, ein geistiges Gefängnis von klaustrophobischer Enge. In den USA dagegen hatten die New Yorker Stonewall-Aufstände von 1969 die Schwulenbewegung in Gang gesetzt. Als Tom 1978 nach Kalifornien kommt, öffnet sich der Himmel. Sonne durchflutet Karukoskis Film, der schier in den grellsten Farben explodiert, wie ein irrer LSD-Trip. Er traut seinen Augen nicht, als er zum ersten mal all die blendend aussehenden amerikanischen Männer sieht, die viel körper- und gesundheitsbewusster sind als die europäischen. Braungebrannte Bodybuilder-Typen mit strahlendem Lachen, die seine wildesten Zeichnungen übertreffen – und sie empfangen ihn als einen der ihren, wie einen Messias! Als in den 1980er Jahren die AIDS-Krise ausbricht, sieht Tom viele der jungen Männer sterben, denen er mit seiner Kunst Selbstvertrauen gegeben hatte und fühlt sich schuldig.
Neben der pornographischen Seite haben Toms Bilder auch einen progressiven anarchischen Aspekt, eine subversive Erotik. Geselschaftliche Hierarchien werden auf den Kopf gestellt. Ein Schwarzer fickt einen Cop – in den 1950er Jahren der US-Apartheid. Aber warum gibt es bei Tom of Finland so viele uniformierte Macho-Autoritäten? Susan Sontag schrieb 1975 in ihrem Essay »Fascinating Fascism«, dass Uniformen Phantasien von Gemeinschaft, Ordnung und Identität suggerieren würden. Toms Männer aber, wie martialisch sie auch auftreten, wollen sich nur gegenseitig beglücken. Das zeigt dieser Film auf erfrischende Weise.