Vom Sklavenboot ins Raumschiff, "Space Is the Place" ist ein bizarres filmisches Manifest des Afrofuturismus.


Vom Sklavenboot ins



Die Blaxploitation-Filme der frühen 1970er-Jahre hattedas  Image der Schwarzen emanzipiert und an die Stelle der Sklaven und Diener einen hyperpotenten Macho mit Waffe gestellt. Der Musiker Sun Ra setzte  dem mit seinem Film eine friedvolle Botschaft  entgegen.


Foto: Rapid Eye Movies











Raumschiff


Space Is thPlace ist ein bizarres filmisches Manifest des Afrofuturismus. Sun  Ra, der avantgardistische Jazzmusiker und  Schamane aus dem  Weltall, will die schwarzen Seelen Amerikas in eine  bessere Zukunft  führen.

Text Sabine Matthes

In gold- und silberfunkelnden Gewändern, ge- schmückt wie ein ägyptischer Sonnengott, schreitet Sun  Ra, der  visionäre Exzentriker und avantgardistische Jazzmusiker, durch einen sur- realistischen Paradiesgarten. Aus Pflanzen sprießen gelbe  Hände, vermummte menschli- che  Geister haben Spiegel  anstelle von  Gesich- tern. Die Grenzen zwischen den Arten, den Ras- sen  und Geschlechtern sind  gefallen, Mischwe- sen  und Außenseiter haben ihren Platz gefunden. Riesige  Seifenblasen und die  seltsa- men Sphärenklänge von  Sun  Ras Arkestra wa- bern durch die  Landschaft dieses Fantasiepla- neten. »Die Musik  ist hier  anders. Die Vibratio- nen sind  anders. Nicht  wie Planet Erde.  Planet Erde klingt nach Gewehren, Wut, Frustration. Es gab dort  niemanden zum Reden auf dem Plane- ten Erde«, sagt Sun Ra, der afro-amerikanische Schamane aus  dem Weltall,  zu  Beginn dieses einzigartigen filmischen Manifests des Afro- futurismus.

1971 hatte Sun  Ra den  Kurs »The Black Man in the  Cosmos« an  der  kalifornischen Universi- tät Berkeley  unterrichtet. 1972 entstand der 85- minütige Film Space Is the Place von John Coney, der   teilweise  auf  diesen Vorlesungen  basiert. Sun Ra und die Sängerin June Tyson  skandieren die  poetisch formulierten Thesen seiner opu- lenten Mythenwelt in Konzert-Mitschnitten des Sun-Ra-Arkestra. Die  wohl  einzige 35-Millime- ter-Kopie des  Films  wurde jetzt  restauriert und digitalisiert, samt Knistern und Rauschen, und ist seit 6. Juli 2017 auf Kinotournee.

Der Film ist ein Trip ein schräger, wahnwitzi- ger, psychedelischer Rausch. Queere afrofuturi- stische Drag Show und Blaxploitation. Schama- nismus und magischer Surrealismus a Alejan- drJodorowsky. Camp, schwarze Science Fiction und Pharaonenkult. Hinter dem bizar- ren  Kulissenzauber aber  steckt eine  echte mis- sionarische  Botschaft: Seit  die  Schwarzen von den Weißen gekidnappt und auf Sklavenschiffen
über den  Atlantik  verschleppt wurden, sind  sie ihrer  Vergangenheit, ihrer  afrikanischen Wur- zeln,  beraubt. Diesem Alptraum der  Sklaven- schiffe setzt  Sun Ra den Traum vom Raumschiff entgegen. Er will die gedemütigten Afro-Ameri- kaner mittels Musik und Technik in eine bessere Zukunft führen sie  endgültig vom  Blick und der  Zerstörungskraft der  Weißen Welt  befreien und heilen. Sun  Ra spielt Keyboard  im  Raum- schiff, sein  kosmischer Jazz ist der Treibstoff. Könnte das Raumschiff eine Metapher für unser Bewusstsein sein?  Seitlich sitzen zwei riesige blutrot wirbelnde Augäpfel  als Propeller. So kommt er zurück auf die Erde, um  seine Jünger für das Projekt zu rekrutieren.
In einem Schwarzen Community Center, an dessen Wänden Poster von Eldrige  Cleaver  und
Angela  Davis  hängen, erscheint er  mit  mysti-

schen Figuren, die die Masken der  ägyptischen Götter Horus und Anubis  tragen. Höflich stellt er sich als »Sun Ra, Botschafter der intergalakti- schen Regionen vom Weltraum-Rat« vor.
Die Jugendlichen fragen ihn  amüsiert, ob  er eine  Art schwarzer Hippie sei, oder real. Ra ant- wortet: »Ich bin nicht real. Ich bin genau wie Ihr. Ihr  existiert nicht in  dieser Gesellschaft. Wenn Ihr es tätet, rden Eure Leute  nicht für Gleich- berechtigung kämpfen. Ihr seid nicht real. Wenn Ihr  es ret, hättet Ihr  einen Status unter den Völkern  der  Welt.  Also sind  wir beide Mythen. Ich komme zu Euch  nicht als Realität. Ich kom- me  zu Euch  als der  Mythos, weil es das  ist, was die Schwarzen sind: Mythen. Ich kam aus einem Traum, den  der Schwarze vor langer Zeit ge- träumt hat. Ich bin eigentlich ein Geschenk, das Euch  von Euren Vorfahren geschickt wurde. Ich werde hier bleiben, bis ich bestimmte von Euch ausgesucht habe, um sie mit mir zurück zu neh- men.«
Dafür  eröffnet Ra, der  schwarze Erlöser, an einer Ausfallstraße in Oakland eine  Agentur für Zeitarbeit. Unter anderen bewerben sich  Nasa- Spione, die das schwarze Raumfahrt-Konkur- renzunternehmen skeptisch verfolgen.

Aber auch innerhalb der schwarzen Community hat  Sun Ra einen schweren Stand. In einer sur- realen Szenerie in der Wüste  muss er ein mysti- sches Kartenduell  mit   seinem Kontrahenten, dem Overseer, ausfechten. Es geht  um  nichts geringeres als die Frage,  in welche Richtung die Zukunft der Schwarzen geht.  Sun Ra, rdevoll, majestätisch  glitzernd im  Pharao-Look, steht für  die  kosmische Emanzipation des  Afrofutu- rismus – außerhalb der weißen Welt.
Der Overseer, ein  schwarzer Macho und Zu- hälter im weißen Anzug, mit phallischer Zigarre,
übernimmt  stattdessen  die   Insignien  weißer


Fotos: Rapid Eye Movies



Herman Poole Blount fühlte sich früh als Außenseiter,  als schwuleSchwarzer  sah er sich zweifach ausgegrenzt. Wohl fühlte er sich nur in der Musik und erfand sich als Sun Ra neu.











Der schwarz Messia hat einen schweren Stand In einer surrealen Szeneri ider Wüst muss Sun Ra ein mystisches Kartenduell ausfechten (Mitte). Space Is the Place ist ein wahnwitziger, psychedelischer RauschQueere afrofuturistisch Drag Show und Blaxploitation. Doch hinter dem bizarren Kulissenzaube steck eine missionarisch Botschaft.


Macht. Er verkörpert eine  schwarze Emanzipa- tion  im  Stil der  archetypischen Blaxploitation- Helden, die sich über Frauen, Waffen,  Geld und ausgefallene Autos definieren. Blaxploitation- Filme  waren seit  Anfang  der  1970er-Jahre das erste emanzipatorische afro-amerikanische Filmgenre. Auf Melvin  van Peebles Sweet Sweet- backs Bad Badass  Song  (1970) folgten mehr als
100 solcher Filme.  Sie beeinflussten neue Mo- den,  Frisuren und Ausdrucksformen. Zuvor wa- ren Schwarze im amerikanischen Kino haupt- sächlich als gefährliche Monster oder unterr- fige  Bedienstete präsent. Fielen  sie  außerhalb dieser Rollen,  überlebten sie kaum bis zum Filmende.

Als die Bilder der  Black Panther in den  öffentli- chen Medien erschienen, inspirierten sie die Blaxploitation-Filme und  emanzipierten  das Image der  Schwarzen. Die  symbolische Macht einer Waffe war  nicht mehr allein  in den  Hän- den   der  weißen Polizisten, sondern  auch bei den  Black Panthers. Die durch die Sklaverei  er- littene »Kastration« wurde kompensiert mit dem Image des  hyperpotenten  Schwarzen, ei- nem sexistischen Macho mit Waffe, wie viele heutige Gangster-Rapper. Der weiße  Rassismus wurde durch eine  Art schwarze »Phallokratie« abgelöst.
Sun Ra kritisierte diese  schwarze, patriarcha- le Männlichkeit und die  Gewalt  innerhalb der Community. Mit  seiner extraterrestrischen Ex- travaganz war er ein Außenseiter und wurde des Verrats  an der schwarzen Sache  verdächtigt. Im Film  muss er  beweisen, dass  sein  Spleen kein Egotrip ist, kein  bloßer Werbegag um  den  Ver- kauf  seiner Platten anzuheizen. Vielmehr zeigt er eine  alternative schwarze Authentizität, eine Antwort auf die Black-Panther-Strategie der be- waffneten Selbstverteidigung.


Am 22. Mai 1914 als Herman Poole  Blount in Birmingham, Alabama, geboren, entdeckte er früh  körperliche Anomalien an  sich  und hatte Angst,  als  Freak  verspottet zu  werden. Später kam seine Homosexualität dazu, die er mit Mu- sik kompensierte. »Musik ist für mich die einzig lohnende Sache  der  Welt,  und ich  sehe  sie  als eine  vollständige Kompensation für alle Handi- caps,  die ich habe.«, wird er in John Szweds um- fassender Biografie  Space Is the Place zitiert. Gay Pride  musste angesichts von  Black  Power  und der Homophobie im (afro-)amerikanischen Jazz zurückgestellt und  unterdrückt  werden. Kein Wunder also, dass er sich auf dem Planeten Erde als  Außerirdischer  fühlte. Und  sich  selbst neu erfand, mit einer mythischen, intergalaktischen Identität als Sun Ra.

»Ich  bin  ein  Fremder vom  Himmel,  weit  weg, weiter als das  Auge sehen kann ist mein Para- dies,  eine  mystische Welt aus  dem Weltall.«, schreibt er in Stranger from the Sky. Science-Fic- tion-Gedichte von   Sun   Ra  wurden  Ende   der
1960er Jahre in vielen Black-Arts-Publikationen veröffentlicht, neben Langston Hughes und Al- len Ginsberg. Die Suche nach einem exotischen und befreienden Anderswo ist eine Konstante in Sun Ras Gedichten. In The Government of Death sehnt er sich nach dem Tod, der alle gleich  ma- che:  »Alles im Reich  des  Todes  ist nichts außer Frieden, seine Bewohner haben alle gleiche Ri- ten erhalten, weil sie gleiche Rechte bekommen haben …« und »alle Regierungen auf Erden, die von  Menschen gemacht sind,   diskriminieren, aber die Regierung des Todes ist eine unschuldi- ge Regierung, sie behandelt alle gleich«.
Sun Ras Romantizismus ist auch eine profun- de Kritik an der ordinären Welt, der er den  Rük- ken  kehrt. Der  banalen  Realität, der  vulgären Alltäglichkeit, setzt  er das  Ideal  des Wunderba-ren  und Fantastischen entgegen. Schillernden Afro-Alien-Drag, Cosmic  Jazz  und psychedeli- sche  Multi-Media Performances mit seinem Ar- kestra einer offenen, sozialen Kreativ-Fabrik wie Andy Warhols Factory, nur dass statt Drogen strenge Disziplin herrschte.
Jeder  Außenseiter sucht sich  seinen eigenen Planeten. Der schwule afro-amerikanische Autor James  Baldwin befreite sich von den  Fes- seln amerikanischer Rassenidentität auf dem Planeten Europa, in Paris und Istanbul. Quentin Crisp,  britischer Exzentriker, Autor  und Schwulen-Ikone, ging den umgekehrten Weg. Er entfloh dem homophoben England als  »Resi- dent Alien« in  den  Big Apple  New York. Henry David Thoreau, amerikanischer Philosoph, Schriftsteller und Mystiker, großer Prophet des zivilen  Ungehorsams, weigerte sich,  Steuern zu zahlen, um nicht die Sklaverei  und den  Mexiko- Krieg zu unterstützen. Er trat den Rückzug in die Wälder  an,  sein  Raumschiff war  eine  selbstge- baute  Blockhütte namens  »Walden   Hut«.  Mit seinem Essay Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat  (1849) inspirierte er unter ande- ren  Martin Luther  King zum  gewissensgeleite- ten,  gewaltlosen Widerstand gegen  die  Obrig- keit.

Anarchistische Gesellschaftsrebellen waren auch die beiden Easy Rider (1969) Dennis Hop- per  und Peter   Fonda auf  ihren Harley-David- son-Motorrädern. Dem  legalisierten Terror un- serer  Gesellschaft setzten sie in ihrem Film  ein romantisch verklärtes Bild von Freiheit und To- leranz entgegen dem Lebensgefühl der  Biker in  den   späten  1960er-Jahren. Ihr  psychedeli- scher Freiheitstrip auf der  Suche nach einem geistigen El Dorado wird  in  der  Schlussszene mit  einem gewaltsamen Tod  bestraft. Sie wer- den  erschossen.

Auch Sun Ra, dem intergalaktischen Easy Ri- der,  kommt vor seiner Befreiungsmission aller- hand in die Quere. Er wird vom FBI entführt und mit  Dixieland Musik  gefoltert. Schließlich wird er von  zwei schwarzen Kids befreit und zu sei- nem  großen Abschlusskonzert  gebracht,  das den  Exodus  vom  Planeten Erde  einläuten  soll. Einige  schwarze Charaktere, denen er  bei  sei- nem Erdenbesuch begegnet ist, werden in sein Raumschiff gebeamt.

Da  das  destruktive Potenzial der  technischen Erfindungen der  Weissen, die  Atombombe, die Erde  zu einem gefährlichen Ort macht, scheint es keine  Hoffnung mehr für diesen Planeten zu geben. Die Verbrechen der  Menschheit sind  ir- reparabel. Die  Erde  explodiert, ihre  Teile  und das  Raumschiff fliegen  durch das  Weltall,  aus dem eine  Stimme ruft:  »In a far out  Place   in Space   well wait  for you!« An einem weit  ent- fernten Ort im All werden wir auf Euch  war- ten!