Leserbrief zu Hubert Wetzel: "So brauch ich Gewalt", SZ vom 7./8. Oktober 2017, Seite 3

Leserbrief zu Hubert Wetzel: "So brauch ich Gewalt", SZ vom 7./8.  
Oktober 2017, Seite 3

Sehr geehrte Redaktion Leserbriefe,

Erschreckend ist nicht nur das Massaker in Las Vegas, sondern auch die  
moralische Hybris deutscher Kommentatoren nach derartigen Tragödien.  
Hubert Wetzels Erklärungsversuche schrammen dabei hart an der Grenze  
zum Rassismus. Die "Bereitschaft" jemanden umzubringen habe in Amerika  
"tiefere Wurzeln": "Wenn die Gewalttätigkeit so etwas wie ein  
Bestandteil des Volkscharakters ist, eine historisch gewachsene  
Tradition, die man mit ein paar Gesetzesänderungen nicht aus der Welt  
schaffen kann", dann seien nicht die Waffen das Problem, sondern "die  
Amerikaner". Aha, also genetisch bedingte Gewalttäter? Amerikaner sind  
aber kein "Volk", sondern eine "Nation" unterschiedlichster Ethnien.  
Welche tragen nun das angebliche "Brutalo-Gen"? Etwa die Nachkommen  
jüdischer Flüchtlinge, oder die aus Haiti, Brasilien und Kuba, die  
jamaikanischen Schwulen oder farbigen Rapper, Latinos oder Chinesen?  
Oder doch eher die Nachkommen deutscher, europäischer, Einwanderer wie  
Rumsfeld und Trump? Wenn man schon "völkische" Erklärungsmodelle  
bemühen will, dann könnte das angebliche "Brutalo-Gen" in Amerika also  
gut deutschen Ursprungs sein. Schließlich haben Deutsche als  
Kolonialisten auch in Namibia und anderswo Völkermord begangen, ehe  
sie ihre rassistische Vernichtungsmaschinerie europaweit gegen Juden  
einsetzten.

Neben dieser angeblich historisch-völkischen "Prädisposition zur  
Gewalttätigkeit", bringt Hubert Wetzel eine andere abstruse Erklärung:  
eine schwache Regierung ohne Gewaltmonopol sei verantwortlich für das  
Massaker. Ja, im Gegensatz zu Deutschen sind Amerikaner wesentlich  
weniger staats- und obrigkeitshörig, denn viele waren ja vor ihren  
totalitären Regimen und staatlicher Diskriminierung extra in die USA  
geflüchtet. Deswegen traut man dem Individuum mehr, als dem Staat, und  
diejenige Regierung ist die beste, die einem möglichst viel Freiheit  
lässt. Dazu gehört für manche auch die Freiheit Waffen zu besitzen, um  
sich notfalls auch gegen eine totalitäre Regierung wehren zu können.  
Die JPFO (Jews for the Preservation of Firearms Ownership) ist eine  
jüdisch-amerikanische Organisation, die sich für das Recht auf  
Waffenbesitz ausspricht. Zumindest überlegenswert ist ihr Argument,  
dass "gun control" erst all die großen Genozide des letzten  
Jahrhunderts möglich gemacht hat, weil sich die Millionen  
"entwaffneter" Zivilisten - Armenier, Juden, oppositionelle Russen,  
Chinesen, Kambodschaner, Ruander usw - nicht mehr gegen ihre  
Regierungen wehren konnten. Mit unserer speziell deutschen Gewalt  
Erfahrung von zwei Diktaturen mutet es deswegen grotesk an, wenn  
Hubert Wetzel auf mehr "staatliches Gewaltmonopol" pocht. Mindestens  
so absurd, wie die amerikanischen Waffenfanatiker. Gesellschaftlich  
sanktionierte Gewalt "braucht" anscheinend auch der Deutsche -  
Zehntausende Tote und Verletzte durch Alkohol oder Raserei sind auch  
ein schleichendes Massaker.

Mit freundlichen Grüßen,
Sabine Matthes
Glötzleweg 43
81477 München
Tel.: 089-791.8513