Oktober 2017, Seite 3
Sehr geehrte Redaktion Leserbriefe,
Erschreckend ist nicht nur das Massaker in Las Vegas, sondern auch die
moralische Hybris deutscher Kommentatoren nach derartigen Tragödien.
Hubert Wetzels Erklärungsversuche schrammen dabei hart an der Grenze
zum Rassismus. Die "Bereitschaft" jemanden umzubringen habe in Amerika
"tiefere Wurzeln": "Wenn die Gewalttätigkeit so etwas wie ein
Bestandteil des Volkscharakters ist, eine historisch gewachsene
Tradition, die man mit ein paar Gesetzesänderungen nicht aus der Welt
schaffen kann", dann seien nicht die Waffen das Problem, sondern "die
Amerikaner". Aha, also genetisch bedingte Gewalttäter? Amerikaner sind
aber kein "Volk", sondern eine "Nation" unterschiedlichster Ethnien.
Welche tragen nun das angebliche "Brutalo-Gen"? Etwa die Nachkommen
jüdischer Flüchtlinge, oder die aus Haiti, Brasilien und Kuba, die
jamaikanischen Schwulen oder farbigen Rapper, Latinos oder Chinesen?
Oder doch eher die Nachkommen deutscher, europäischer, Einwanderer wie
Rumsfeld und Trump? Wenn man schon "völkische" Erklärungsmodelle
bemühen will, dann könnte das angebliche "Brutalo-Gen" in Amerika also
gut deutschen Ursprungs sein. Schließlich haben Deutsche als
Kolonialisten auch in Namibia und anderswo Völkermord begangen, ehe
sie ihre rassistische Vernichtungsmaschinerie europaweit gegen Juden
einsetzten.
Neben dieser angeblich historisch-völkischen "Prädisposition zur
Gewalttätigkeit", bringt Hubert Wetzel eine andere abstruse Erklärung:
eine schwache Regierung ohne Gewaltmonopol sei verantwortlich für das
Massaker. Ja, im Gegensatz zu Deutschen sind Amerikaner wesentlich
weniger staats- und obrigkeitshörig, denn viele waren ja vor ihren
totalitären Regimen und staatlicher Diskriminierung extra in die USA
geflüchtet. Deswegen traut man dem Individuum mehr, als dem Staat, und
diejenige Regierung ist die beste, die einem möglichst viel Freiheit
lässt. Dazu gehört für manche auch die Freiheit Waffen zu besitzen, um
sich notfalls auch gegen eine totalitäre Regierung wehren zu können.
Die JPFO (Jews for the Preservation of Firearms Ownership) ist eine
jüdisch-amerikanische Organisation, die sich für das Recht auf
Waffenbesitz ausspricht. Zumindest überlegenswert ist ihr Argument,
dass "gun control" erst all die großen Genozide des letzten
Jahrhunderts möglich gemacht hat, weil sich die Millionen
"entwaffneter" Zivilisten - Armenier, Juden, oppositionelle Russen,
Chinesen, Kambodschaner, Ruander usw - nicht mehr gegen ihre
Regierungen wehren konnten. Mit unserer speziell deutschen Gewalt
Erfahrung von zwei Diktaturen mutet es deswegen grotesk an, wenn
Hubert Wetzel auf mehr "staatliches Gewaltmonopol" pocht. Mindestens
so absurd, wie die amerikanischen Waffenfanatiker. Gesellschaftlich
sanktionierte Gewalt "braucht" anscheinend auch der Deutsche -
Zehntausende Tote und Verletzte durch Alkohol oder Raserei sind auch
ein schleichendes Massaker.
Mit freundlichen Grüßen,
Sabine Matthes
Glötzleweg 43
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