"Je suis Edathy" Leserbrief/Beitrag

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Subject: "Je suis Edathy" Leserbrief/Beitrag
Date: Sun, 1 Mar 2015 17:22:10 +0100

zum Fall Edathy:
Heribert Prantl: "Öffentliche Verdammnis", SZ vom 21./22.2.2015, Seite 4
und Annette Ramelsberger: "Öffentlich, rechtlich", SZ vom 24.2.2015, Seite 3

Sehr geehrte Redaktion Leserbriefe,

"Je suis Edathy". Wie die Pariser Karikaturisten hat Sebastian Edathy das Recht auf freie Meinungsäußerung, erotische Vorlieben und nicht öffentlich hingerichtet zu werden, nur weil er sich vermeintlich verbotene Bilder von nackten Knaben ansieht. Er fragt zu Recht, ob "wir nun bei der Inquisition oder in einem Rechtsstaat" sind. Denn die brutale moralische Vorverurteilung und soziale Vernichtung seiner Person, bereits vor einem fairen Gerichtsverfahren, dröhnte unisono von den staatstragenden Organen der Politik, Presse und Justiz und schädigt unseren Rechtsstaat womöglich mehr als die islamistischen Attentate Frankreich.

Lieber möchte man von Edathy regiert werden, als in einer totalitären Gesellschaft leben, die ihre brillantesten und schillerndsten Köpfe eliminiert. George Orwells Roman "1984" beschreibt diesen Horror, wo das bloße In-Erwägung-Ziehen von anderen Gedanken als der offiziellen Doktrin als "Gedankenverbrechen" angesehen wird, was den Tod bedeutet. Mit einer "Gedankenpolizei" spürt dort das mysteriöse "Ministerium der Liebe" Abweichler auf, die gefoltert, umgedreht oder erschossen werden. Der Roman provozierte Debatten, ob bereits der Gedanke ein Verbrechen sein könne, oder ob erst dessen Umsetzung eine Straftat sei. Wenn man Edathy erotische "Gedankenverbrechen" vorwirft, müssen dann alle Politiker zum öffentlichen "Playboy-Test"? Wer versagt, wird aus Amt und Würden gejagt und zur chemischen Kastration verurteilt? So, wie es 1952 zur Bestrafung seiner homosexuellen Handlungen Alan Turing geschah, dem genialen britischen Computer Pionier, der sich dann wegen Depressionen mit einem vergifteten Apfel, wie Schneewittchen, umbrachte? Immerhin sprach die Königin 60 Jahre später ein posthumes Pardon aus.

Bei Sebastian Edathy muss man sich sofort entschuldigen und seinen verantwortungsvollen Umgang mit seiner pädophilen Neigung als vorbildlich und bereichernd für den Politikbetrieb ansehen. James Baldwin hat es vorgemacht. Als er von einem Journalisten gefragt wurde, ob er sich als junger amerikanischer Autor nicht benachteiligt gefühlt hätte, weil er arm, schwarz und schwul war, triumphierte Baldwin: "Nein, ich dachte ich hätte den Jackpot gewonnen. Es war so empörend, dass man daraus etwas machen musste." Baldwin und Edathy haben es bewiesen. Wie man durch die negativen Erfahrungen von Diskriminierung wegen seiner Herkunft und sexueller Vorlieben besonders wertvolle Fähigkeiten entwickeln kann.   

Mit freundlichen Grüße,
Sabine Matthes
Glötzleweg 43
81477 München
Tel.: 791.8513