Im Strassenstudio

Im Strassenstudio

Träume, die wahr werden: Die Ausstellung »Bamako - Dakar. Westafrikanische Fotografie heute" in Ulm

Von Sabine Matthes


Fatoumata Diabaté  Aus der Serie
Fatoumata Diabaté Aus der Serie "Sutigi: Uns gehört die Nacht"
Schönheit ist das Unerwartete, behaupteten die Surrealisten. Und so wirken die Bilder der Ausstellung »Bamako - Dakar. Westafrikanische Fotografie heute« im Stadthaus Ulm zunächst überraschend schön, weil sie der Erwartungshaltung, einen Krisenkontinent vorgeführt zu bekommen, widersprechen. Der senegalesische Fotograf Omar Victor Diop findet es schade, »dass es wenige Leute gibt, die sich für das interessieren, was gut läuft und für die Träume, die wahr werden«. Und deshalb fotografiert er eben diese »Träume«. Seine Porträts der kreativen Szene der Modemetropole Dakar sind lebensgroß gehalten und unprätentiös direkt an die Wand gepinnt. Sie wirken wie visuelle Musicals, psychedelisch und sorgsam choreographiert. Mit dieser Aura soll die Wahrnehmung des Kontinents »wieder ins Gleichgewicht« gebracht werden, wie es Diop formuliert.
Das Herzstück der westafrikanischen Fotogeschichte ist die Porträt- und Studiofotografie. Viele der ausgestellten Fotografen beziehen sich auf die großen malischen Vorbilder Malick Sidibé (Jahrgang 1936) und Seydou Keïta (1921-2001). Letzterer eröffnete als Autodidakt 1948 ein Studio in Bamako. Er avancierte mit seinen eleganten, weltläufigen Schwarzweißporträts zur Vaterfigur der westafrikanischen Fotografie. Die Fotostudios wurden gefeierte Orte der Selbstinszenierung. Malick Sidibé hingegen dokumentierte den Aufbruchsgeist der malischen Jugend der 1960er Jahre in den Straßen und Nachtclubs von Bamako; sein legendäres Studio betreibt heute Sohn Karim.
Fatoumata Diabaté arbeitet seit 2013 an der Reinszenierung dieser alten Portraitfotografien. Für ihr mobiles Fotostudio (»Studio de la rue«) benutzt sie die Straße als Bühne und Laufsteg in ähnlicher Weise, wie es die kongolesischen Dandys, die Sapeurs, in den 1960er und 1970er Jahren taten. Damals war das ein Akt des zivilen Widerstands gegen die von Mobuto verordnete Staatsideologie der afrikanischen »Authentizität«. Wie flammende Paradiesvögel in schreiend pinken Anzügen flanierten sie über die staubigen Straßen, stolze Hoffnungsträger im alltäglichen Kampf gegen die Realität.
Der europäische Kunstmarkt »entdeckte« Anfang der 1990er Jahre vor allem die Fotografie aus Südafrika, zunehmend aber auch aus den westafrikanischen Ländern Mali und Senegal. Durch französische Kooperation entstand in Dakar die Biennale der Bildenden Künste, die Dak'Art, und in Bamako die Biennale der Fotografie . Die Fotografen aus Bamako schildern, dass es für sie eine große Bereicherung war, sich auf der ersten Fotobiennale 1994 direkt mit europäischen Künstlern austauschen zu können. Anfangs hätten sie sich gefragt, was das für eine Art von westlicher Fotografie sei, »die keine Menschen mag«. Doch dann hätten sie gesehen, wie man neben der Portraitfotografie auch mit Objekten, Situationen und Gebäuden arbeitet. Auch machten sie die Bekanntschaft mit Gleichgesinnten wie Samuel Fosso aus Nigeria, der durch die Biennale 1994 berühmt wurde. Fosso war vor dem Biafra Krieg in die zentralafikanische Republik geflohen und eröffnete mit 13 Jahren in der Hauptstadt Bangui sein eigenes Fotostudio. Er nutzte die leeren Filmenden für Selbstportraits in unterschiedlicher Kostümierung als Boxer oder Matrose, die er seiner Mutter in Nigeria fürs Familienalbum schickte. Mit seinem androgynen Look und schriller Pop-Ästhetik erschafft er sich immer neue Identitäten, als US-Emanzeder 1970er Jahre, als Malcolm X oder Angela Davis oder als stereotyper afrikanischer Diktator.
In Ulm stellen fünf Fotografen aus Bamako und acht aus Dakar aus. Sie kommen in ausführlichen Videointerviews zu Wort und kommentieren ihre Arbeit im Spannungsfeld zwischen Tradition und globalem Kunstmarkt. Malick Sidibé sagt, er habe früher für seine heimische Kundschaft nur Fotos in rechteckiger Form gemacht und Lampen, Installationen oder andere Gegenstände im Hintergrund als störende »Parasiten« am Bildrand weggeschnitten, bis dann die Galerien nach einer quadratischen Form verlangt hätten.
Fatoumata Diabaté übersetzt traditionelle malische Märchen in eine surreale Bildsprache. In ihrer Serie »Der Mensch als Tier« verkleiden sich Schüler mit selbstgemachten Masken als Kaninchen oder Hyäne. Sogar auf Djibril Sys Reportagefoto aus dem Bürgerkrieg in Liberia scheinen sich die Frauen mit den Gewehren, eine Rebellengruppe, die man »die Amazonen« nennt, auch durch ihren extravaganten Modestil zu ermächtigen.
Gibt es eine »afrikanische Fotografie«? Nein, sagen die meisten, was soll da der Unterschied dieser Porträts sein zu denen von, sagen wir mal, August Sander? Würde Malick Sidibé in New York fotografieren, hielte man den Urheber dieser Bilder für einen Amerikaner, da das Umfeld der Gebäude und Avenuen das Foto definiere. Für Emmanuel Bakary Daou gibt es aber einen afrikanischen Blick auf eine bestimmte Situation, der anders sei als der eines Fotografen aus dem Westen. Das ist Omar Victor Diop zufolge das »Moment des Träumens, eine Flucht, das Erhabene«, und »vor allem in Westafrika (...) ein ausgeprägter Sinn für das Schöne.« Zum Beispiel Erdnüsse an der Straßenecke, fein angeordnet.


»Bamako - Dakar. Westafrikanische Fotografie heute«, Stadthaus Ulm, bis 23. November 2014. Danach in Dakar und Saint-Louis (Senegal), 3. Januar bis 20.Februar 2015